Romantik 2.0

Auf der Suche nach einer neuen Romantik

Für ihre Miniaturcollagen sammelt Magdalena Hohlweg triviale Überbleibsel, wo sie geht und steht. Die allerletzten fragwürdigen Krümel, von Bürgersteigen und Waldwegen aufgesammelt, werden hier zur Kunst erhoben. Eine exakte Ausrichtung und Fixierung auf Aquarellpapier und Ergänzungen mit feinen Strichzeichnungen – daraus entsteht ein Panoptikum einzigartiger Charaktere, die als verwirrend echt wirkende Insekten oder winzige Vogelgestalten erstaunen und verzücken. Trotz fragiler Plastikteilchen oder Papierchen an dürren Pflanzenresten – die kleinen Szenen haben etwas überaus Ästhetisches. Aber ist das nicht eine überholte und romantische Sicht auf eine paradiesische Welt, die es längst nicht mehr gibt? Brauchen wir nicht neue Wege und Perspektiven?

Magdalena Hohlweg: „Unbedingt! Denn wir befinden uns inmitten einer gewaltigen Zeitenwende! Auf unserem bisherigen Weg, der uns immer höher, schneller und weiter führt, sortieren wir aus, was nicht Gewinn bringend ist. Schon mit Beginn der Industrialisierung um 1800 ist deshalb auch nicht länger Romantik, sondern Ratio gefragt. Die Natur ist fortan nur noch Ressource. Mit seinen bahnbrechenden technischen Errungenschaften stellt sich der Mensch als wichtigstes Element des Daseins ins Zentrum des Universums. Ein anthropozentrisches Weltbild dominiert seitdem das Leben auf unserem Planeten. Die Natur wollen wir entmachten, um sie unseren Zwecken zu unterwerfen – dafür müssen wir sie auch entzaubern. Parallel zur Industrialisierung befreit sich auch die Kunst von einer übersteigerten Verehrung der Natur, die mindestens seit der Höhlenmalerei mal als göttliche Schöpferquelle, mal als bösartiger Dämon ein wechselhaftes, aber immer zentrales Thema der Kunst ist. Mit Beginn der Industrialisierung prägt jedoch Intellekt statt Sinnlichkeit die Kunstszene. Abstrakte Strömungen setzen sich durch. Naturromantik und Euphemismus sind überholt. Wer ‘zu schön’ malt, setzt sich heute noch leicht dem Verdacht des Eskapismus, der Realitätsflucht aus.

Aktuell bröckelt allerdings das Bild von der Allmacht des Menschen – das Zeitalter des Anthropozän geht seinem Ende entgegen. Die Natur wird wieder wichtig und rückt somit erneut auch in den Fokus der Kunst. Alles wird wieder mit neuer Bereitschaft betrachtet. Beispielsweise der Realismus, noch vor der Jahrtausendwende gern als verklärend und überwunden belächelt, findet aktuell sogar seine Übersteigerung im Hyperrealismus. Denn wir wollen wieder ganz nah dran sein an der Natur, die wir jetzt fast verloren glauben. Selbst die Höhlenmalerei erlebt ihr Comeback mit der Street Art – zeitgleich mit der digitalen Revolution und auf der Suche nach der vernachlässigten Seele unserer anonymen Behausungen. Denn wie vor Jahrtausenden haben wir immer noch die selben Sehnsüchte. Wir stellen fest, dass es nicht unserer Natur entspricht, diese einfach hinter uns zu lassen. Sehr viele menschengemachte Werte und Wahrheiten sind gerade auf dem Prüfstand – Wir sehen uns konfrontiert mit der Summe unserer Irrtümer. Dabei haben wir doch alles bis ins kleinste auseinandergenommen, kategorisiert, analysiert, rationalisiert und aussortiert – aber irgendetwas Entscheidendes müssen wir dabei übersehen haben.“

Stabilität und Gewissheit sind fragil. Vertrauen ist einfach

Magdalena Hohlweg nimmt uns mit auf ihre Suche danach. Und zwar nicht an weit entfernten Sehnsuchtsorten, sondern da, wo wir gerade gehen und stehen. Die Miniaturcollagen werfen einen hoffnungsfrohen Blick auf unsere alltägliche Welt, die im kleinsten Ausschnitt ungeahnte Möglichkeiten bietet, wenn wir bereit sind, uns auf sie einzulassen. Diese wertschätzende Betrachtung der banalsten Reste lässt auch über den weit verbreiteten Gigantismus nachsinnen. Denn die Monumentalität, in der wir Menschen uns am liebsten selbst betrachten – sie wackelt. Angesichts unseres all umfassenden Scheiterns ist es nun angebracht, in der Fragilität unseres Daseins die Chancen für einen Neubeginn zu suchen. Das erfordert mehr als Ratio. Für unser menschliches Fortbestehen ist es entscheidend, dass wir einen mitfühlenden Umgang mit der Natur und mit uns selbst neu erlernen.

Es ist Zeit für Romantik 2.0